The Moon is Shining from the Left. Edit Oderbolz

Kunstverein Albrecht Dürer Gesellschaft Nürnberg, 25. Februar bis 14. Mai 2017

„Umweht von Größe. Olympiasieger, Weltmeister, Weltrekordler: Zehnkämpfer Ashton Keaton hat kein Ziel mehr und beendet seine Karriere.“ Mit dieser wenig erbaulichen Meldung konfrontiert uns ein aufgeschlagenes Zeitungsblatt, das am Fenster des Kunstvereins klebt. Von außen scheint die Sonne gegen die Scheibe. Eine weitere Artikelüberschrift berichtet von einem Streit über die Übertragungsrechte eines Sportereignisses. Auf weiteren Blättern der Serie In the Shadow we put together a House (2017) an der gegenüberliegenden Wand erzählen Architekten und Designer von ihrer Beziehung zum Bauhaus, Hochschulen für angewandte Wissenschaften schreiben Professuren und Dozenturen in „Smart Energy“ oder „Katastrophenschutz“ aus, ein mit „Trost der Nacht“ überschriebener Artikel befasst sich mit Adam Elsheimers Gemälde „Flucht aus Ägypten“, ein weiterer mit entfernten Planeten und dem Sonnensystem. In jedes dieser Blätter ist ein kleines Loch oder Fenster geschnitten, das bei näherem Hinsehen als Silhouette eines kleinen, zum Dach gefalteten Zeitungsblatt zu erkennen ist.

Edit Oderbolz’ (geb. 1966, lebt in Basel) Arbeiten, die nun erstmals in einer Einzelausstellung in Deutschland gezeigt werden, kreisen immer wieder um die Schnittstellen von Kunst und Architektur, die Spannungen zwischen harmonischer Komposition und sozialem Engagement in der Gestaltung sowie die Verbindung zwischen Kunst, Architektur und Utopie, wie sie etwa in der Planung von Städten und Wohnsiedlungen von Architekten der Moderne wie Oscar Niemeyer oder Le Corbusier aufscheint.
Insbesondere die Titel vermitteln bei Edit Oderbolz eine politische Metaphorik und werfen irritierende Fragen auf: Wenn der Mond im Titel der Ausstellung von links scheint – kommt dann die Sonne von rechts? Welcher Art von Strahlung sind wir – im einen wie im anderen Fall – damit ausgesetzt? Und sollen wir die „Fenster und Türen“ (ebenfalls Titel einer Serie von Oderbolz) lieber dazu nutzen, uns einen besseren Aus- und Überblick zu verschaffen, oder eher dazu, die Flucht zu ergreifen, den Ausgang zu nehmen, der zugleich ein Eingang in eine ganz andere, in der Ferne bereits sichtbare und doch unbekannte Umgebung sein kann?
Man kommt kaum darum herum, politische Konnotationen in den vielsagend poetischen Titeln zu vermuten. Plakativ sind die Arbeiten trotzdem nicht, auch deshalb, weil die Materialien noch mehr sagen als die Motive und es weniger um die Entschlüsselung politischer Botschaften geht als darum, einer Atmosphäre nachzuspüren.

Eine zentrale Frage, die durch die Ausstellung The Moon is Shining from the Left von Edit Oderbolz schwebt, scheint die zu sein, wie wir uns durch unseren spezifischen Medienkonsum unsere eigenen („Wohn-)Räumen“ konstruieren, in denen wir uns temporär oder auch für längere Zeit einrichten, teils aus vorgegossenen Fertigbauteilen, teils aus Sonderanfertigungen, maßgeschneidert auf unsere individuellen Bedürfnisse und Vorlieben.
Wer hier gleich an „das Internet“ denkt, an öffentliche Foren und Filter Bubbles, an persönliche Profile und Algorithmen, die diese mitgestalten, liegt nicht falsch – allerdings schwingt dieser Aspekt des Themas bei Oderbolz zurückhaltend stets nur im Hintergrund mit, digitale Medien tauchen vereinzelt auf motivischer Ebene auf, während dem Printmedium der Tages- oder Wochenzeitung eine weit größere Präsenz in der Ausstellung zukommt.
Die aufgeschlagenen Zeitungsblätter gesellen sich zu architektonisch inspirierten, fragmentarischen und modellhaften Konstruktionen aus Metall und Keramikplatten (Pose, 2016; Unit, 2017). Die mit minimalen Mitteln konstruierten Andeutungen von Behausungen behalten einen Charakter von Durchgangsorten – auch die „Zeitungsdächer“ bilden kleine Tunnel ohne Abschlüsse nach vorn und hinten. Welche Orte Oderbolz’ Konstruktionen jedoch verbinden, bleibt buchstäblich offen.

Die Kleidung ist des Menschen zweite Haut, die Architektur die dritte. In Oderbolz’ Ausstellung finden sich Anspielungen auf beide Häute, durch modellhafte Zitate und Übersetzungen von Architekturen. Der menschliche Körper mit seiner „ersten“ Haut scheint nur auf den ersten Blick zu fehlen. Der Körper des Betrachters wird immer mitgedacht und adressiert, z. B. durch die Verwendung von Gegenständen, die aus alltäglichen Gebrauchszusammenhängen isoliert sind, aber noch in ihrer neuen Zusammenstellung den Eindruck erwecken, zu einer vom Menschen bewohnbaren Umgebung zu gehören. So zeigt Oderbolz im Foyer des Kunstvereins mit Now Rain, Now Sun (2016) eine lockere, fast schon sommerliche Ferienstimmung ausstrahlende Anordnung aus „Zeitungsdächern“ und Wassermelonen vor einem improvisierten Paravent aus mit weißen Stoffbahnen behängten Armierungsgittern.

Die „erste“ Haut des Menschen ist die, die wir als Betrachter mitbringen und an die wir uns insbesondere dort erinnern, wo die starren Materialien, wie man sie eher aus dem Bauwesen, im Estrich oder Stahlbeton, kennt, bei Oderbolz anfangen, körperlich zu wirken. Dies ist etwa der Fall bei einer Reihe harmonischer Wandarbeiten (ohne Titel, ) aus teils farbig lackiertem Armierungsgitter im Tafelbildformat, in die zerschnittene Sweatshirts und T-Shirts, Stoffreste oder ein Paar Kopfhörer gehängt sind: Roséfarbenes Jersey trifft auf silbern strahlendes Metallraster, dunkles Blau auf glänzend braun lackiertes Metall, mitunter erinnern die Farbtöne selbst an rosige oder braungebrannte Haut. Die Armierungsgitter, denen normalerweise eine verstärkende Funktion zukommt, scheinen in der Ausstellung noch auf etwas zu warten, das sie verstärken könnten.

Dieses Etwas können nur wir selbst mit ins Spiel bringen. Das Zeitungslesen oder, in der Ausstellung, das Betrachten von Zeitungen als Bestandteilen von Bildern im Raum könnte auch stellvertretend für eine politische Informiertheit stehen, die Voraussetzung für gesellschaftliches Engagement ist, ohne aber notwendigerweise in dieses münden zu müssen. Information, die wir uns über unterschiedliche Medien beschaffen, ist nicht mehr und nicht weniger als ein Ausgangspunkt für potentielle politische Aktivität. Die Beschäftigung mit Informationsmedien kann ebenso der Entspannung und dem Zeitvertreib dienen – für viele ist gerade das morgendliche Zeitungslesen auch in digitalen Zeiten noch immer ein festes Ritual. Bei Edit Oderbolz changiert das Material der Zeitungen zwischen diesen beiden Polen, dem Politischen und dem Kontemplativen, ohne einer Seite klar den Vorzug zu geben. Die Stimmung in der Ausstellung hat etwas Tagträumerisches, bleibt aber nicht unberührt von den gesellschaftspolitischen Entwicklungen, die in einzelnen Zeitungsblättern, gewissermaßen parallel zur künstlerischen Auseinandersetzung mit Formen, Farben, Materialien und Kompositionsweisen, reflektiert werden. Sie ist selbst eine Passage, ein Übergangsstadium, und überlässt uns die Imagination dessen, wohin sie vielleicht führen könnte.

Arbeiten aus Verpackungskartons und Verpackungsmaterialien und bunten Folien mit Klebestreifen. Rahmen sehen manchmal auch aus wie schwarze verpackungskartons, in denen sorgfältig gebastelte Planetensysteme verstaut werden


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