Einmal zum Mitnehmen, Deckel drauf. Nicole Eisenman: BADEN BADEN BADEN

Kunsthalle Baden-Baden, 02. November 2018 bis 17. Februar 2019

Das nehmen wir mal mit – und machen einen Deckel drauf. Etwas sicher unter Verschluss zu halten und Probleme sanft ins diplomatische Hinterzimmer zu geleiten, gehört zum Einmaleins des Krisenmanagements. Was unter der Abdeckung weiter rumort, findet nicht selten seinen Weg in die Kunst – z. B. in die Werke der US-amerikanischen Malerin und Bildhauerin Nicole Eisenman, wo politisch aufgeladene Themen langsam anschwellende Abszesse bilden.
Eisenman lässt aggressive Vögel und müde Adler, Flaggen und Anzugträger gemeinsam mit kunstgeschichtlichen Ahnen wie Marat in der Badewanne ihre Kreise durch die Farbmassen ziehen. Schwarze Kreise und Löcher durchsetzen Eisenmans Kunst: als Körperöffnungen, Duchamp’sche Gucklöcher, Augenhöhlen, Pistolenläufe, dicke Pipelines, aus denen Erdöl? – schwarze Galle? – Wimperntusche? – schießt.
Die metaphorischen Rohre, in denen emotionale, politische Energie, kreativ und aggressiv, strömt, lecken. Sie halten nicht dicht, entfalten dadurch aber produktives Potential. Eisenmans Löcher, die Orales und Anales, das Aussprechen und Ausscheiden, gleichermaßen verkörpern, scheinen manchmal Strahlen oder Wellen auszusenden, als wollten sie kommunizieren, uns etwas mitgeben – und sei es ein Schwall undefinierbarer Flüssigkeit, die die zerfurchten Landschaften der Werke dann doch irgendwie fruchtbar wirken lässt.

In der Schau Dark Light ließen 2007 in der Wiener Secession Zeichnungen und Gemälde Eisenmans die USA im »dunklen Licht« Donald Trumps, dessen Einwanderungs-, Umwelt- und Waffenpolitik erleuchten: Aktuelle Tagespolitik beherzt durch den Fleischwolf der Kunstgeschichte gedreht, in der künstlerischen Aneignung aber keineswegs verdaulich gemacht. Die »schwarze Sonne«, wie sie hier als Motiv und in Werktiteln auftaucht, ist weder Schatten noch Finsternis. Das gemalte Loch ist ebenso Auspuff und Ventil, verbläst Asche und Rauch wie düsteres Licht, das spontane Empörung mehr noch als Erhellung von Krisen anzeigt. Während man in Abgründe hinunterstürzt, fällt man in Löcher hinein, in andere Räume, aus denen auch etwas herausschlüpfen kann. Das Loch, bei aller Löchrigkeit, ist schöpferisch, generativ und öffnet sich.

Im Unterschied zum melancholischen Titel der gewissermaßen als »Krisenbeleuchtung« fungierenden Schau »Dark Light« klingt »Baden Baden Baden« eher frohgemut. Auch in Baden-Baden häufen sich die Löcher. Der erste Raum empfängt mit klobigen Büsten und zimmerbrunnenartigen Objekten aus Aluminium, Textil und Gips (alle 2018): »King Head« steht Kopf und macht sein stachliges Halsband zur dornigen Krone; »Head with Demon« beherbergt eine wurmartige Mitbewohnerin; »The General« leidet, so Hannah Blacks Werkerläuterung, unter Verstopfung und nascht »aus patriotischen Gründen« Erdnüsse auf Empfängen, ungeachtet der allergischen Schwellungen, die sie ihm bereiten.
Die teils rau, dann wieder spiegelnd glatt gefertigten Skulpturen sind Büsten und sind Häuser, ohne Herren, ohne Eigner. Sehr wohl aber sind sie besetzt. Vielleicht sind sie tatsächlich Stütz- und Aussichtspunkte. Eisenman selbst ist auf einem Militärstützpunkt in Verdun aufgewachsen.

Besonders besticht die heimelige Hohlheit des »Witch Head« (2018), der durch ein Ofenrohr Weihrauch verströmt und Assoziationen zu Brandstiftung und Papstwahlen weckt. Zigaretten stecken gebündelt in einem als Mundöffnung markierten Durchbruch. Nebenan hat es sich an der Wand in einer Collage die Großmutter bequem gemacht: In »Grandma’s Bed« (2007) versinkt eine Greisin, die im Saaltext mit der Hexe im benachbarten Kopf identifiziert wird, in Matratzenschichten aus Bauschaum. Beschienen wird die Szenerie von einer Kugel Vollmond aus Erdbeereis. Die schwarze Sonne aus dem Werk Eisenmans hat sich in einen rosigen Lichtkörper verwandelt. Zartschmelzend, kühl und fruchtig-süß gibt er im Bild den sensorischen Ton an.

Ähnlich pastellig fällt die Arbeit »Flag Pole« (2018) aus. Von Ecke zu Ecke erstreckt sich ein umgeknickter weißer Fahnenmast. Er ist zu Boden gegangen, scheint in der Materialanmutung (vor Selbstmitleid?) zu triefen, hängt in den Seilen einstiger Rankheit und Größe. Betrachtet man länger das Ensemble, fällt der Blick auf eine blasse Scheibe, die lose aufgefädelt am Ende des Mastes hängt. Die Scheibe, die sich als überdimensionierter Abguss eines Plastikdeckels für Coffee to Go-Becher entpuppt, scheint bereit, gehisst zu werden, wie eine Friedensflagge, mit allerdings mehrdeutiger Botschaft. Der Plastikdeckel könnte pars pro toto als verobjektiviertes schlechtes Alltagsgewissen angesichts unserer Beteiligung an einer Zumüllung der Welt im weitesten Sinne gelesen werden.

Die Krise ist ein Kreis, ist ein Loch, ist ein Deckel. Der rosafarbene schmelzende Kugel-Mond und die weiße schwer recycelbare Scheibe erscheinen als Variationen der schwarzen Sonne. Sie wecken Assoziationen zum Bekleckern: der Finger mit Eis und Kaffee, der weißen Weste oder Jacke mit klebrigen Schlieren. Die Black Sun, die sich selber aus- und aufstößt, wird zum Snack – milchig, zuckrig getrübt scheint das Licht der Aufklärung, wenn auch spielerischer als im Motiv der schwarzen Sonne. Das metaphorische Feld der Verdauung erfährt eine Verschiebung hin zur dieser vielleicht vorgelagerten Frage nach der Genießbarkeit unserer Alltagserfahrung.

Die Stärke der Ausstellung in Baden-Baden ist, dass sie zwischen all den politisch aufgeladenen Motiven die surrealen Details nicht vergisst. Tatsächlich hätte man aber stärker noch oder vielleicht ganz auf klassische Leinwandmalerei verzichten können. So fällt die etwas isoliert gehängte Arbeit »Huddle« (2018) eher plakativ allegorisch aus: eine apokalyptische Hochhausszene unter Wolkenhimmel zwischen Van Gogh und Delaunay. Vor allem die Verbindungen von irritierenden Texten, Gerüchen, Figuren, Basteleien und Videoimpressionen tragen zum atmosphärischen Gewebe aus Materialtexturen und Geschichten bei. Sie geben der Ausstellung ihre besondere Haptik und bringen den schwarz-spiegelnden Humor Nicole Eisenmans zur Geltung.


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