Nancy Jones, Hunter Longe: Small Goals and some Bridges

Nancy Jones’ und Hunter Longes Arbeiten weisen lose Querverbindungen auf, die sich entlang der Frage nach dem menschlichen Umgang mit medialen Bildern von Natur knüpfen. Beide Künstler_innen zitieren Motive, wie wir sie aus naturhistorischen Büchern bzw. Bilderbüchern, Cartoons und der Comicliteratur kennen. Es entstehen Schichtungen aus Bildern und Symbolen, zugleich aber auch aus unterschiedlichen zeitlichen Räumen und Imaginationen, in denen die Grenze zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen verschwimmt. Das Kleinteilige, Detaillierte, das Ausgangspunkt in den Arbeitsweisen beider Künstler_innen ist, formiert sich zu Leerstellen mit unabsehbarer Ausdehnung.

Die Bildgründe in Nancy Jones’ Aquarell- und Ölmalereien öffnen sich in gleisend helle Leerstellen, zerfließen zu halb abstrakten, halb gegenständlichen Pfützen oder bleiben ganz leer. Zentral in die Komposition gesetzte Figuren flottieren selbstversunken in surrealen Situationen, scheinen teils in der Natur, teils auf der Straße oder im architektonisch angedeuteten White Cube zu stehen.
Ladies on a Bridge zeigt Kandidatinnen einer Misswahl, eingebettet in eine lebendige, so verträumt wie bedrohlich wirkende Natur. In jedem Bild der Serie verändert sich diese und lässt die Protagonistinnen in wechselndem Licht erscheinen. Auch die Brücke, die in die Wildnis der Farben ein zivilisatorisches, an Gärten und Parkanlagen erinnerndes Motiv einführt, variiert in ihrer Stabilität als stützendes, gliederndes Bildelement. Während die Girls on a Bridge frontal für die Kamera posieren, drehen uns die Figuren in Logo Moods häufig die Rücken zu. Sie scheinen Kunstwerke oder Werbeflächen zu betrachten, mitunter selbst in virtuelle Welten aus Filtern und Emoticons einzutreten. Die Zusammensetzung der Räume und Figuren changiert zwischen Flächigkeit und Tiefe. Die Bilder scheinen unser mediales Bewusstsein als kreisendes Ineinander von Introvertiertheit und Extrovertiertheit zu thematisieren, als Zustand des sich im Betrachten immer auch selbst betrachtet Wissenden, der uns bei uns selbst auch ganz woanders sein lässt.

In Hunter Longes Morphic Memory (2017) liefern lianengleich durch den Raum gehängte Schnüre die fragilen Präsentationsvorrichtungen für Objektassemblagen. Sie öffnen dabei zugleich imaginative Türen, indem sie die Konturen möglicher architektonischer Durchgänge – in einen anderen Raum? In eine andere Zeit? – nachzuzeichnen scheinen. Kernstück der Assemblagen sind kleine Gemälde auf zugeschnittenen Joghurtbechern aus dem Kunststoff Polystyrol. Synthetisiert aus fossilen Energieträgern, entstanden aus der Zersetzung organischen Pflanzenmaterials, wird Polystyrol überall in unserem Alltag, etwa in der Elektrotechnik oder für Lebensmittelverpackungen, verwendet.
Longes Malereien auf diesem Material zeigen prähistorische Landschaften, wie sie in wissenschaftlichen Büchern rekonstruiert werden, aber auch Motive aus dem Bereich der Computertechnologie. Kombiniert mit Fragmenten verschiedener Mineralien, denen sie sich innig anzuschmiegen scheinen, werden die Malereien in Objektassemblagen integriert, die somit drei verschiedene materielle Transformationsstadien der prähistorischen Natur zusammenführen: Die Versteinerung der Pflanzen stützt die Ausschnitte aus dem Verpackungsmaterial, in das dieselben Pflanzen über die Jahrtausende hinweg transformiert wurden, welche wiederum als Träger einer mediale Darstellung der Pflanzen und Landschaften im Bild fungiert.

Longes und Jones Arbeiten teilen nicht nur ihre Beschäftigung mit den Verschränkungen „natürlicher“ und „künstlicher“ Umgebungen, die in gegenseitiger Durchdringung unsere Wahrnehmung verschiedener Wirklichkeiten und Handlungsräume beeinflussen. Beide lassen ebenso verschiedene zeitliche Ebenen verschwimmen und beziehen sich aus einer von technologischen Entwicklungen und Social Media-Sehgewohnheiten geprägten Gegenwart heraus auf spürbar imaginativ und emotional getönte Vergangenheiten, sei es die wissenschaftliche Spekulation über das Prähistorische bei Longe, die nostalgisch rosagetönte Kindheitsmotivik bei Jones. Der Blick auf ein scheinbar „Ursprüngliches“, der doch nie frei von persönlichen Interessen und sozialen Prägungen der jeweils eigenen gelebten Zeit sein kann, ist stets medial vermittelt, gewinnt aber gerade dadurch seine Eigenheit.
Di Bildung Bildung von Gruppen – von Personen, Materialfragmenten, Zeichen und Symbolen – deutet als Kompositionsprinzip beider Künstler_innen an, wie die Bündelung mehrere Bilder zu einer bestimmten Interpretation von Welt führen kann, wie aber die Fokussierung mehrerer Blicke – bzw. der Blicke mehrerer – auf einen zentralen Gegenstand stets das Potential des Multiperspektivischen behält.


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