Bilder ineinander unterwegs.

Thilo Westermanns Bilderserie Ensembles zeigt schwarz-weiße Hinterglasmalereien und pastellige Buntstiftzeichnungen eingebettet in Stillleben-Arrangements und stilvolle möblierte Innenräume, flankiert von Bücherstapeln und Blumenarrangements, die mit den Motiven ihrer selbst korrespondieren. Auf den ersten Blick erinnert Westermanns Vorgehen an die Strategie Louise Lawlers: Lawler hält berühmte Kunstwerke fotografisch in unterschiedlichen Kontexten fest, die nicht der üblichen Betrachtung durch uns an der Wand eines Museums oder in einem sonstigen öffentlichen Ausstellungsraum entsprechen. So zeigt etwa ihre Arbeit Pollock and Turreen, Arranged by Mr. and Mrs. Burton Tremaine, Connecticut (1984) ein Gemälde Jackson Pollocks im schmalen Ausschnitt über einer Porzellanterrine in den Räumen privater Sammler. Die Kunstwerke treten hier in ein Wechselverhältnis mit den Interieurs, zu deren atmosphärisch prägendem Teil sie bereits geworden sind.
Doch während Lawler anhand einer Dokumentation der Hängung prominenter Kunstwerke in privaten Räumen reicher Sammler deren persönlichen Geschmack in den Fokus rückt, liegt das Besondere an Westermanns Interieurs darin, dass die Privatperson, zu der es eine Verbindung herstellen könnte, hier nicht klar auszumachen ist. In Arbeiten wie „Vanitas (Vanda Coerulea)“ and „Untitled (Bougainvillea)“ at a collector’s house, Maremma 2016 oder „Purple Violet – Fuchsia, Leaf Green (2)“ and „Vanitas (Phalaenopsis) (2)“ at Daniel’s guest room, Munich 2014 scheint zwar zunächst eine bestimmte Person den gezeigten Räumen zugeordnet und somit als Subjekt identifiziert zu werden – tatsächlich aber bleiben „Daniel“ und der „Sammler“ in ihrer Art der Nennung merkwürdig anonym, ebenso wie die abgebildete häusliche Umgebung, von der jeweils lediglich ein verschwindend geringer, nichtssagender Ausschnitt gezeigt wird.

In diesem Ausschnitt ist zudem nichts, wie es scheint: Die repräsentativen Umgebungen, in die Westermann seine eigenen Werke – auch dies ein Unterschied zu Lawler – einfügt, sind aus einer vielteilig zusammengefügten digitalen Bildmontage entstanden. In ihrer für uns als Betrachtende sichtbar werdenden Komposition existieren sie nur als Bild. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln, mit unterschiedlich arrangierten Gegenständen wurden die Ausschnitte aus den Innenräumen mehrfach abfotografiert – doch stets ohne Westermanns Kunstwerke, die im Nachhinein digital ins Bild montiert wurden, nachdem auch das Bild selbst in aufwendiger digitaler Handarbeit erst als ein solches repräsentatives zusammengesetzt wurde.
Westermann schafft seinen Bildern auf diese Weise ein neues Bild als eine mögliche Umgebung. Diese fordert unsere Einbildungskraft weniger hinsichtlich der Geschichten, die sich hinter einer bestimmten Sammlerpersönlichkeit und deren Einrichtungsstil verbergen mögen, heraus, als vielmehr hinsichtlich der Dynamik die die Bilder selbst durch Kontextwechsel und Verschiebungen ihrer Kompositionselemente entfalten. Verstärkt wird die persönlich anmutende, doch allgemein bleibende, sichtlich aufgeräumte und konstruierte Atmosphäre in Arbeiten wie „Chinese Orchid (Homage to Ma Lin)“ at KochInvest Unternehmensgruppe, Nuremberg 2016 (2016/2018) und „Vanitas (Vanda Miss Joaquim)“ in der Villa Stéphanie, Baden-Baden 2017 (2017/2018), die gar nicht vorgeben, individuelle Privaträume zu zeigen, sondern eine seltsame Zwischengattung von öffentlichen und nicht-öffentlichen, geschäftlichen und privaten Räumlichkeiten in Hotels und Konferenzräumen abbilden.

Der Umraum, in dem sich Westermanns Malereien und Zeichnungen eingebaut finden, ist ein sozial mehrdeutiger und digital erstellter. Von ihm aus lassen sich ebenso gedankliche Verbindungen herstellen zu den Interieurs, in denen wir uns mit unseren Mobile Devices bewegen, die wir über Screens und Tastaturen aufsuchen, häufig in den Sozialen Netzwerken. Westermanns Fotomontagen wirken geradezu wie eine Allegorie auf diese Räume bzw. Profile, die in der heutigen Welt einen exemplarischen Sammelplatz für individuelle Interieurs im Sinne bewusst geschaffener Räume der Vermittlung zwischen dem Innenleben und der Außendarstellung eines Subjekts darstellen. Interieurs stehen für eine Schnittstelle oder einen Zwischenraum zwischen unseren privaten Bedürfnissen und Sehnsüchten auf der einen und deren Niederschlag in einer bestimmten Einrichtung unseres Umfeldes auf der anderen Seite. Auch andere Personen als bloß wir selbst können sich hier aufhalten und somit Einblicke in unseren Lebensentwurf erhalten. In einer post-digitalen Welt, in der wir alle immer häufiger unterwegs und an mehreren Orten zu Hause zu sein scheinen, gewinnen die Sozialen Netzwerke, etwa die Fotoplattform Instagram, an Bedeutung als stetig zu aktualisierende und anzureichernde »mobile Interieurs«.
Thilo Westermanns Instagram-Acccount ist eine Welt der Grandhotels und Parklandschaften, der Business-Foyers und opulent dekorierten Schaufensterpassagen – welche dieser exklusiven Orte der Künstler tatsächlich selbst aufsuchte, um sich länger dort aufzuhalten, in welche er vielleicht nur einen neugierigen Blick im Vorbeigehen warf, in welchen Zusammenhängen, etwa zu Vernissagen, auf persönliche Einladungen hin oder auch aus spontaner Entdeckerlust, er diese betrat und was den Impuls zum Fotografieren eines bestimmten Blickwinkels auf diesen Ort gab – über all dies lässt sich nur spekulieren. Fotografien aus Lobbys von Hotels oder Unternehmen vermischen sich mit Impressionen von Städtereisen, privaten Wohnumgebungen, Details aus altmeisterlichen Ölgemälden und zeitgenössischen Installationen in Museums- und Galerieräumen. Immer wieder: Spiegel, Marmor und poliertes Holz.
Es ist, als ob Westermanns Hinterglasmalereien, wie sie in verschiedenen Serien als originale Bildobjekte oder in unterschiedlichen Formen der Reproduktion präsentiert werden, etwas vom Glanz der Materialien aus diesen Räumen in sich aufgenommen haben. In ihren spiegelnd schwarzen Oberflächen reflektieren sich, zunächst optisch, schemenhaft ihre Ausstellungsumgebung und die sich vor ihnen aufhaltenden Betrachter_innen – selbst dort, wo sie nur als ihr eigenes abfotografiertes Abbild in andere Bilder montiert auftreten. In dieselben Räume, aus denen sie im Sinne einer motivischen Inspiration entnommen wurden, werden die Bilder mit Westermanns Fotomontagen auch wieder eingeführt – eingeführt wie in eine Gesellschaft, samt deren spezifische Konventionen und Stilgepflogenheiten.
Insofern kann man Westermanns Ansatz tatsächlich als ein Sichtbarmachen von Räumen verstehen, in denen Kunst zirkuliert: sowohl der aufwändig ausgestatteten Räume sammelnder Personen, Unternehmen und Institutionen als auch der nicht minder aufwändig ausgestatteten Profile der Sozialen Netzwerke als Interieurs zwischen Innenraum und Außenraum, mittels derer wir Ein- und Ausblicke gleichermaßen gewähren: Wir zeigen anderen, was wir tun, wo wir sind, was uns fasziniert und unsere Aufmerksamkeit erregt. Nicht zuletzt könnte man sich angesichts der wiederholt rechteckigen und quadratischen, teils gestaffelten Formen und Anschnitte, aus denen sich Westermanns Montagen zusammenfügen, an typische Formate und Fensterformationen digitaler Benutzeroberflächen der Bildbearbeitung und Bildbetrachtung erinnert fühlen. Dennoch bleibt dieser mögliche Bezug unaufdringlich im Hintergrund vorhanden.

Ähnlich wie die Arbeit am Social Media-Profil und das Komponieren von Interieurs ist auch das Arrangieren von Blumenbouquets, das eine motivische Basis von Westermanns Arbeiten bildet, ein komplexes Spiel mit Abwechslung und Einklang – ein Zusammenstellen farbiger Akzente, aber auf einer zweiten Ebene auch möglicher Ereignisse, Stimmungen und Reaktionen. Kein gepostetes Bild, kein Blumenstrauß kann antizipieren, welche Wirkung es oder er als Dekoration, Gabe oder auch implizit auffordernde Geste bei einem Gegenüber entfaltet.
Charakteristisch an den nahezu unmerklich manipulierten Fotoarbeiten Westermanns ist, dass auch hier völlig offen gehalten wird, was wir in das durch sie hergestellte Verhältnis zwischen Kunstwerken und ihren möglichen Räumlichkeiten hineinsehen sollen. Die Bilder sind keine institutionskritischen Dokumentationen der Bewegungen von Kunstwerken auf dem Markt. Sie sind keine offensiven Inszenierungen kreativer Momente, wie man sie aus den Sozialen Netzwerken vorrangig kennt. Vielmehr scheinen die Bilder zu flottieren, zwischen gewünschten Aufenthaltsorten in der Erinnerung und in der Zukunft, zwischen einer Zugehörigkeit zu bestimmten Menschen und einer Ambition auf institutionelle Anerkennung, zwischen poetischen und pragmatischen Verweisungszusammenhängen, mal hier, mal dort innehaltend auf ihrer analogen und digitalen »Reiseroute«. Ein wenig ziellos und gerade darum präsent im gezeigten Augenblick bewohnen die Bilder andere Bilder, um kurz darauf weiterzuziehen.


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