Was bedeutet es, die eigenen künstlerischen Arbeiten einem Publikum zugänglich zu machen, dessen Reaktionen, selbstverständlich, nicht und niemals vorherzusehen sind? Was heißt es – sich – heraus- und auszustellen? Und wie schafft man es überhaupt, aktiv eine solche Situation der Selbstpräsentation herbeizuführen? Der Künstler, der mit seiner Mappe in die Galerie marschiert, ist ein Mythos, an den, und das zu Recht, heute kaum noch einer glaubt. Den Fuß in die Tür bekommt man nicht mit dem Kopf durch die Wand. Die Frage, wie man öffentlichkeitswirksam agiert, ohne dabei gleich hauptberuflich zum eigenen PR-Manager (und sich dabei mitunter selbst ein wenig suspekt) zu werden, spielt eine zentrale Rolle im Leben vieler Künstler_innen. Heute verspricht nicht zuletzt das Internet, sich als Plattform anzubieten, auf der nahezu jeder Präsentationsflächen in schier beliebigen, wenn auch streng genommen nulldimensionalen, Ausmaßen beanspruchen und bespielen kann.
Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Gerade im Netz sind komplexe Regeln der Searchability und Nutzerfreundlichkeit zu befolgen, will man die algorithmischen und sozialen Dynamiken, die hier den Ton angeben, für sich nutzen. Eine eigene Homepage oder einen Instagram-Account zu haben, über die sich andere informieren oder zumindest eine Kontaktadresse finden können, ist hilfreich, um Aufmerksamkeit zu erhalten oder bereits entgegengebrachtes Interesse aufzufangen. Dennoch ersetzt ein solcher Auftritt nie die Präsentation eigener Werke in analogen Kontexten – in An- oder Abwesenheit dieser Werke selbst.
Klassenbesprechungen vor Mitstudierenden und Professor_innen, Atelierbesuche von Kritikern und Kuratoren, Künstlergespräche in Ausstellungen für ein breites Publikum, Small Talk mit Kollegen – wie ungezwungen alle diese Situationen ablaufen, variiert von Fall zu Fall. Kunst zu zeigen und zu erklären (wie auch immer man dieses „Erklären“ definiert und ausgestaltet), ist nicht immer angenehm. Und doch ist (fast) jedes Publikum eine Chance, die es zu ergreifen gilt, gleich, ob man es sich bewusst gewählt hat oder zufällig in die Lage gerät, plötzlich mit jemandem über die eigene Kunst sprechen zu „müssen“.
Auch in Harry Dodges und Stanya Kahns Video „Winner“ geht es um eine unverhofft sich ergebende Situation der Öffentlichkeitswirksamkeit: Unter den Hörerinnen und Hörern des kalifornischen Radiosenders KCLU, so die Narration, wurde eine Kreuzfahrt verlost, verbunden mit einem auf Video aufgezeichneten Interview mit der glücklichen Preisträgerin. Der Rahmen dieses Interviews, welches die Protagonistin dazu nutzt, den Kameramann beständig hinzuhalten, indem sie ausdauernd selbstproduzierte Kunstobjekte aus ihrem Kofferraum präsentiert, gibt das Format der Videoarbeit Dodges und Kahns vor.
Tatsächlich lassen sich entlang des Verlaufs der Erzählung zentrale Dynamiken beschreiben, wie sie das Präsentieren von Kunst durch Künstler_innen selbst häufig kennzeichnen und in „Winner“ ins Absurde zugespitzt und freigestellt werden.
Präsentationen eigener Arbeiten im Sinne einer die Künstlerin oder den Künstler aktiv, körperlich einbeziehenden Situation des Ausstellens laufen meist sowohl inszeniert oder kalkuliert als auch improvisiert ab. Die Kunst, die vorher im Atelier, zu Hause oder auch nur als Konzept im Kopf existierte, wird nun in einen anderen Raum gebracht. Dort überrascht sie, im besten Fall, auch ihren Urheber, der mit dem, was sich da plötzlich exponiert, fertig werden muss, während er oder sie doch gleichzeitig meist bereits dem Blick einer Öffentlichkeit ausgesetzt ist. Dass es auch bei der bis ins Detail durchdachtesten Präsentation oft anders kommt, als geplant, darf als Qualitätskriterium von Kunst als solcher betrachtet werden.
In „Winner“ kommt die Kunst aus dem Kofferraum. Nacheinander werden diverse zum Interviewtermin mitgebrachte „sculptures“ herausgeholt. Auf der flachen Hand werden die Objekte weg vom Körper gestreckt und mit der anderen Hand akzentuierend umkreist. Nie verlassen sie die Hand der Protagonistin, die ein gestisches Spiel zwischen Distanzierung und Annäherung vollführt. Das Zögern der Körpersprache und im Reden sich Verfransen scheint vom Skript vorgesehen, zugleich aber auch tatsächlich von Kahn und Dodge als den Darstellern ihrer Figuren bei der Produktion des Videos improvisiert. „Winner“, scheint es, ist sowohl über eine ab- und ausschweifende Gesprächssituation zwischen Künstlerin und Interviewer als auch selbst entstanden aus Spontaneitäten, Pausen und Exkursen, die sich beim Dreh erst ergaben. Wie stark tatsächlich Inszenierung und Improvisation in jeder Sekunde des Videos jeweils zum Tragen kommen, bleibt unersichtlich.
Eng mit dieser situativen Herausforderung verknüpft ist im Gespräch das Zusammenspiel monologisierender und dialogischer Anteile. Wie viel erklärt man zur eigenen Arbeit? Was lässt man sich erklären, das nur andere erzählen können, gerade weil es die eigene Arbeit ist, die man als Künstler_in aus einer sehr speziellen Perspektive sieht? Die Sprache als übersetzendes Medium zwischen unterschiedlichen Gedanken und Sinneseindrücken schafft hier ein Feld, in dem Beziehungen und Verhältnisse zwischen den Sprechenden und dem Besprochenen sich nicht „aufklären“, sondern vielmehr temporär gefunden werden können: „another type of, you know, surprise – hey!“
In „Winner“ spricht hauptsächlich die Künstlerin, vom Interviewer kommen kurze Einwürfe, hauptsächlich der Wunsch, die Preisträgerin möge doch bitte das für das Video erforderliche Statement auf Band sprechen. Dennoch bricht er das Gespräch nicht ab. Die Kamera hält weiter auf die Sprecherin, der vermutlich als kurzer Einspieler geplante Clip wird zum Porträt einer Person – einer Künstlerin – mitten in der Stadt, auf dem Parkplatz einer Sportanlage. Die Protagonistin macht Klimmzüge an der Konstruktion einer Tribüne, dehnt sich die Seitenmuskulatur, spricht von einem Klavier, auf dem sie zu Hause Soundtracks für diverse Filmprojekte einspielen will, und vom kreativen Potential einer möglichen Kollaboration zwischen ihr und dem Interviewer hinter der Kamera. Dieser jedoch ist „pretty busy“. „All you have to do is…“, setzt er wieder an „you know… just say… that you’re looking forward to the cruise“.
Der Interviewer, offensichtlich, ist auf dem Sprung. Zeitmanagement scheint zwischen den Sätzen grundsätzliches Thema zu sein. Die fünfzehn Minuten des Videos dehnen sich. „You have to – make time“, insistiert die Interviewte. Während sie immer noch mehr zu erzählen hat, was die mitgebrachten Werke betrifft, deren Geschichte, ihre Inspiration, die Materialien, die künstlerisch zu etwas Neuem werden, bleibt sie stumm angesichts der wiederholten Aufforderung, sich zur bald anzutretenden gewonnenen Kreuzfahrt zu äußern.
Man könnte den Gewinn der Kreuzfahrt geradezu als Allegorie auf die Erwartung an das (nicht nur Künstler-)Subjekt lesen, zu immer neuen Ufern aufzubrechen. Diese Erwartung wird von der Künstlerin-Protagonistin in „Winner“ unterlaufen: „I don’t think Im gonna go“, lässt sie ihr Gegenüber schließlich wissen, um zu erklären, wie sie sich kleine Auszeiten einer „Reise“ in das eigene Innere nimmt. Die etwa floskelhaft auf die Selbstbesinnung kreativer Persönlichkeiten anspielende Passage bleibt ambivalent. Sie lässt offen, ob man hier die vertane Chance einer allzu sehr auf die eigene Gedankenwelt und vertraute Umgebung konzentrierten Künstlerin sehen möchte oder vielmehr die souveräne Entscheidung der Protagonistin, nicht jeden Trip mitzumachen, der hin und wieder vielleicht auch mehr Ablenkung als Anregung bedeutet.
Welchen Kurs nehmen Künstler_innen ausgehend von ihrem „Zwischenstopp“ der aktuellen Ausstellung? Inwiefern kann diese Ausstellung der eigenen Kunst als eine Momentaufnahme gesehen werden, als Zäsur, die immer auch ein Vorher – der Entstehung des konkreten einzelnen Werks – und ein Nachher – der weiteren Entwicklung der künstlerischen Linie und Persönlichkeit – impliziert? Anders gefragt: Wie kam es dazu – und wie geht es weiter?
Die improvisierte Inszenierung und inszenierte Improvisation, monologisch, dialogisch, festgehalten im Moment zwischen dem, was da entstanden ist, und einem künftig noch Entstehenden, über das sich nur spekulieren lässt – so geht es Künstler_innen wie auch Kurator_innen in „ihren“ Ausstellungen. Vor allem bei Personen, die verstärkt im Licht der Öffentlichkeit stehen, stellt sich häufiger die Frage nach der „Werkentwicklung“, nach bestimmten „Phasen“, Einflüssen, Stärken und auch Maschen: Was wird sie als nächstes tun? Kann er diese Linie weiterfahren? Hat sich die Serie nicht schon totgelaufen? Und als Nächstes? Größer, höher, weiter? Oder doch Retreat, Reduktion, zurück zum Kleinformat?
Das Interessante an diesen Fragen ist gerade der Umstand, wie schwer das greifbar ist, worauf sie zielen – immer knapp vorbei an dem, was man jetzt gerade vor sich hat.